von Helmut Zeitter
Über die Medien vernehmen wir in regelmäßigen Abständen die katastrophalen Folgen von Erdbeben. Einige der Starkbebengebiete der Welt sind uns damit präsent geworden. Der Versuch, die Erdbebengebiete darzustellen, wird von der Frage erschwert, nach welchem Kriterium zu sortieren ist. Machen wir dies von der Intensität (schadensorientierte Skalierung) oder der Magnitude (energieorientierte Skalierung) des Bebens abhängig? Ist es die Häufigkeit der bisherigen Beben in der Region oder die Zahl der dabei ums Leben gekommenen Menschen? Sind es die politisch-gesellschaftlichen Schwierigkeiten für den Wiederaufbau oder die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen aus der Zerstörung volkswirtschaftlicher Substanz?
Der Blick zurück auf die Katastrophen und die dabei empfundene Betroffenheit sollten den Blick nach vorne nicht verstellen. Der Holzbau kann aus der Thematik nämlich einiges schöpfen. Zu nennen sind Exportchancen, Argumente für den Inlandsmarkt und einen geschärften Fokus für einen ganz allgemein wichtigen Planungsaspekt: Robustheit. Auch wenn das Risiko eines schweren Erdbebens in Deutschland deutlich geringer ist, täuscht es doch darüber hinweg, dass Erdbeben auch hierzulande erhebliche Schäden verursachen können.
Im Bewusstsein der Menschen wird ein Erdbeben allein deshalb zu einer theoretischen Bedrohung, da die Auftretenshäufigkeit gering ist, sodass sich nur wenige an das letzte schwere Erdbeben ausführlich erinnern. Volkswirtschaftlich wirkt sich heute ein Erdbeben deutlich stärker als noch vor 15 Jahren aus. Hochtechnisierte Gebäude und Anlagen wie Rechenzentren sind durchaus empfindlich. Würde das Baseler Erdbeben aus dem Jahr 1356 heute auftreten, wären tausende Tote und etwa 50 Milliarden Euro Schäden zu beklagen. (1) Aus den vergangenen zehn Jahren wird dies auch durch Erdbebenereignisse in den USA und Japan mit besonders großen Opferzahlen und hohen wirtschaftlichen Schäden belegt.
Für städtebauliche Herausforderungen - ob eine Nachverdichtung oder eine neue Bebauung innerstädtischer Grundstücke - wird in Zukunft daher der Stellenwert robuster Konstruktionen wachsen. In der Planung und Konzeption wird dies über Bedeutungskategorien der Gebäude berücksichtigt. Krankenhäuser und Feuerwehrgebäude (Kategorie IV) werden anders bewertet als Wohnhäuser (Kategorie II). Für eine der Domänen des Holzbaus - Schulen, Kindergärten und Gemeindezentren - lässt sich hier sehr gut argumentieren, da eine relativ hohe Bedeutungskategorie (III) mit der hohen Sicherheit der Holzkonstruktionen kombinierbar ist.
Es würde sicherlich zu weit führen, an dieser Stelle erschöpfend die Eigenschaften von Holzbauten unter dem dynamischen Einfluss eines Bebens zu differenzieren. Um jedoch die Vorteile herkömmlicher Holzhäuser unter dem Aspekt der Erdbebensicherheit verstehen zu können, bedarf es einiger Erläuterungen.
Die Betrachtung des Lastfalls Erdbeben und der dabei anzusetzenden Lasten (nach neuer Nomenklatur "Einwirkungen") unterscheidet sich von anderen Lastfällen in wesentlichen Punkten:
Allgemein ist für den Lastfall Erdbeben wichtig, dass das Tragwerk bei wirtschaftlicher Bemessung Tragreserven aufweist, die sich durch Zähigkeiten ergeben. Im Holzbau sind dies im Wesentlichen mechanische Verbindungsmittel, die diesen Beitrag zur sogenannten "Energiedissipation" leisten. Darunter wird das Konzept verstanden, das auch im Automobilbau Anwendung findet. So wie die Knautschzone des Fahrzeugs bei einem Aufprall die Stoßenergie durch plastische Verformung und Reibung vernichtet, so soll in einer Gebäudestruktur die aus dem Untergrund eingetragene kinetische Energie ebenfalls dissipiert (= zerstreut) werden.
Im Detail wird im Holzbau diese Aufgabe von den stiftförmigen, mechanischen Verbindungsmitteln geleistet. Das plastische Verhalten, das auch für den Grenzzustand der Tragfähigkeit im Eurocode 5 (DIN EN 1995) als Hintergrund des Nachweismodells dient, erlaubt eine Verformung bei gleichzeitig zuverlässiger Kraftübertragung. Bei wiederholter Verformung, wie sie bei wechselnder Beanspruchungsrichtung im Erdbebenfall auftritt, wird die Energie durch elastisch-plastische Vorgänge dissipiert - ähnlich wie bei Fahrzeugen, bei denen Knautschzonen die Energie vernichten, ohne die Sicherheit der Fahrgastzelle zu beeinträchtigen. Für Bauteile wie zum Beispiel ein Wandelement, lässt sich damit der Nachweis einer entsprechenden Zähigkeit erbringen. Soll dieses System vollständig funktionieren, ist ein durchgängiges Verfolgen der Aussteifungs- und Verankerungskräfte wichtig. Die wesentlichen aussteifenden Bauteile sind Wand- und Deckenscheiben.
Unter der Voraussetzung, dass das Dachtragwerk ebenfalls als Ganzes in der Lage ist, die Beschleunigungskräfte in die Wände zu leiten, sind die herkömmlichen Kriterien einer sauberen Lastableitung maßgebend. Der Lastfall "Erdbeben" wirkt sich bei ungünstiger Anordnung der aussteifenden Wände in den einzelnen Geschossen auf das Verhalten nachteilig aus, da sich die dynamischen Reaktionen und Verformungen rechnerisch nur sehr begrenzt erfassen lassen. Wand- und Deckenscheiben müssen daher zuverlässig miteinander verbunden sein, so dass dem Geschossstoß besondere Bedeutung zukommt. Insbesondere die Identifikation ungestört wirkender Scheibenbereiche der Decken und Wände stellt den wesentlichen Anspruch an den Entwerfer (Architekt und Ingenieur!) dar. Sowohl die Längskräfte als auch die Einzelkräfte aus der Scheibenwirkung sind sorgfältig zu verankern. Dazu stehen herkömmliche Winkel und Laschen zu Verfügung, die wiederum mit Nägeln oder Schrauben verbunden werden können. Neuere Entwicklungen für die Endverankerung von Wandscheiben leisten dies jedoch bereits in einem einzigen Bauteil.
Bei vorelementierter Herstellung des Bauwerks müssen die Elementfugen sorgfältig verbunden werden. Die dafür in der Regel zum Einsatz kommenden Schrauben leisten einen hervorragenden Beitrag zur Duktilität. Für leichtere Tragwerke wirken sich auch die in der Statik nicht als tragende Elemente angesetzten und nachgewiesenen Bauteile aus. Für die Dämpfung einer dynamischen Reaktion eines Tragwerks sind neben der Masse auch alle weiteren Reibungsmechanismen maßgebend. Daraus folgt, dass der nichttragende Ausbau viel zu dem eigentlichen Verhalten beiträgt.
Die Betrachtung eines im Vergleich mit den großen Beben der Welt für die deutschen Erdbebengebiete schwachen, aber typischen Bebens ist daher selbstverständlicher Bestandteil einer Bauplanung. Dazu liegt seit zwei Jahren die europäisch harmonisierte Erdbebennorm Eurocode 8 (DIN EN 1998) vor. Neben der Anpassung an den Stand der Wissenschaft und Technik wurden Entwicklungen eingearbeitet, die sich auch in anderen Normen wiederfinden. So wird beispielsweise das durchschnittlich geringere Gebäudegewicht berücksichtigt. Wichtigster Unterschied sind die auf probabilistischer Basis erstellten Erdbebenzonenkarten. Wie bisher sind in Deutschland Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg am stärksten betroffen. Für den Holzbau zählen diese Bundesländer zu den wichtigsten Absatzmärkten. Neu ist die Berücksichtigung des unmittelbar am Bauprojekt vorliegenden Baugrunds zur Ermittlung der bemessungsrelevanten Beanspruchungen, sodass es neben der auf vier Zonen reduzierten Erdbebenzonenkarte eine Untergrundkarte gibt.
Das Sicherheitskonzept der Erdbebennorm reiht sich dabei in die neue Generation der Berechnungs- und Bemessungsnormen auf der Basis der Teilsicherheitsbeiwert-Methode ein. Damit wurde der entscheidende Schritt auf dem Weg zu den europäischen Normen gemacht. In Verbindung mit dem Eurocode 5 im Holzbau kann so zunächst unmittelbar gearbeitet werden. Die prinzipiell positiven Eigenschaften von Holzkonstruktionen unter Erdbebeneinfluss werden allerdings aus dem für den Holzbau relevanten Kapitel "Besondere Regeln für Holzbauten" nicht direkt ersichtlich. Bei kleineren Beben bleiben Schäden vollständig aus; bei mittleren Beben sind sie einfach zu beheben, weil Holzbauten leicht zu reparieren sind. Bei starken Beben können die aus dem Untergrund kommenden, vornehmlich horizontalen Verformungen vom Bauwerk aufgenommen werden, ohne zwingend die Standsicherheit zu gefährden. Es liegt in der Verantwortung und Erfahrung des Tragwerksplaners, die Einordnung einer Struktur in die höheren Duktilitätsklassen zu rechtfertigen. Damit werden die für die Energiedissipation erforderlichen Mechanismen zu einem wesentlichen Bestandteil der Zähigkeit einer Konstruktion.
Geschieht dies, dürfen mit dem so genannten Verhaltensbeiwert q die für die Berechnungen anzusetzenden Ersatzlasten reduziert werden. Die ausführlichen normativen Vorgaben im Mauerwerks-, Stahlbeton- und Stahlbau wurden spezifisch auf die Werkstoffe abgestimmt. In der Kürze der Vorgaben für den Holzbau liegt eine wichtige Chance. Es ist Aufgabe eines entsprechenden Kommentars beziehungsweise einer Anwendungsinformation, die Robustheitskriterien für Holzbauten näher zu definieren, um die offensichtlichen Qualitäten des Holzbaus zu nutzen. Da das europäische Regelwerk in allen Ländern inzwischen die Normengrundlage darstellt, steckt für die vielen europäischen Erdbebengebiete (Griechenland, Italien, Türkei etc.) eine gute Exportoption in der zügigen Umsetzung der hinter der Norm stehenden Aspekte.
Da die handwerklich errichteten Häuser derart viele Dissipationsmechanismen aus den mechanischen Verbindungsmitteln besitzen, lässt sich dem Holzhausbau ein sehr zähes und damit duktiles Verhalten attestieren. Nicht ohne Grund weist das GeoForschungszentrum Potsdam (GFZ) in seinem Merkblatt Erdbeben - Was mache ich, wenn in Starkbebengebieten die Erde bebt? darauf hin, dass Holzrahmenkonstruktionen mit leichten Dächern am wenigstens gefährdet sind. Wie immer ist jedoch eine sorgfältige Planung und Ausführung notwendig, um die unbestreitbaren Vorteile zu nutzen. Das Gesamtverhalten ist damit robust zu nennen, wenn die Aussteifung mit Augenmaß entworfen, der rechnerische Nachweis mit Erfahrung geführt und die zahlreichen Notwendigkeiten bei der Umsetzung des Tragwerkskonzepts beachtet werden. Zu der bauphysikalischen Robustheit moderner Holzhäuser gesellt sich dann auch die mechanische Robustheit, die im Falle des Erdbebens Sicherheit und minimierte Schäden gewährleistet.
Helmut Zeitter Bauingenieur, geb. 1963, 1998 Gründung Ingenieurbüro Wagner Zeitter in Wiesbaden, seit 2003 Mitarbeit im Nationalen Spiegelausschuss zu DIN 4149 - Bauten in deutschen Erdbebengebieten - Lastannahmen, Bemessung und Ausführung üblicher Hochbauten, seit 2004 fachlicher Leiter Bauphysik und Holzbau der Ingenieurkammer Hessen (IngKH), seit 2007 stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgruppe Bauen im Bestand und Denkmalpflege der IngKH, Lehraufträge im Fachbereich Bauingenieurswesen und Baukonstruktion an der TH Darmstadt und der FH Wiesbaden, seit 2011 Lehrauftrag für Holzbau im Fachbereich Bauingenieurwesen TU Kaiserslautern, Fachautor HOLZBAU - die neue Quadriga.
1 Hugo Bachmann u. a.: Handlungsbedarf von Behörden, Hochschulen, Industrie und Privaten zur Erdbebensicherung der Bauwerke in der Schweiz. Dokumentation SGEB, Zürich 1998.