Kapelle der Versöhnung

10115 Berlin

Die Kapelle der Versöhnung ist in Deutschland das erste größere Bauvorhaben in tragender Stampflehmbauweise seit den Nachkriegszeiten des 2. Weltkrieges. War damals der Mangel an industriell hergestellten Baustoffen der Grund für den Einsatz von Stampflehm, wird dieser Stoff heute vor allem auf Grund seiner spezifischen Materialästhetik und der positiven raumklimatischen Wirkung verwendet. Während für die Architekten Reitermann und Sassenroth die Stampflehmbauweise eine ideale Möglichkeit darstellte, den sakralen Innenraum mit einer Wand großer Schwere und Homogenität zu umschließen und so eindeutig diesen zentralen Bereich zu markieren, bestand für den Tragwerksplaner Dipl.-Ing. Andreas Schulz, Pichler Ingenieure, die Herausforderung, diese Wand auch in statischer Hinsicht als ein zentrales Element des Tragwerkes auszubilden. Dass heute die 7,2 m hohe und 60 cm dicke Stampflehmwand nicht nur ein Großteil der Vertikallasten trägt, sondern auch das gesamte Bauwerk aussteift, ist dem außergewöhnlichem Zusammenspiel von Architekt, Tragwerksplaner, Materialwissenschaftlern und Ausführungsbetrieb zu verdanken.

Die zur Erlangung der notwendigen Zustimmung im Einzelfall bestehenden materialtechnischen, konstruktiven und bemessungs-technischen Fragen konnten nur durch dieses integrative Zusammenspiel effektiv und qualitativ hochwertig gelöst werden. So wurde der überwiegend aus örtlichen Vorkommen zusammengesetzte Stampflehm von Prof. Dr.-Ing. Klaus Dierks und Dr.-Ing. Christof Ziegert vom Fachgebiet Tragwerksentwurf und -konstruktion der TU Berlin umfangreichen, bisher nicht festgelegten und überwiegend vom Betonbau adaptierten Prüfverfahren unterzogen. Anhand der ermittelten Materialkennwerte konnte dann vom Tragwerksplaner ein auf das Material und das Bauwerk abgestimmtes Bemessungskonzept umgesetzt werden. Die zügig erteilte Baugenehmigung enthielt u. a. die Auflage, dass die tatsächlich am Bau erreichte Festigkeit zu kontrollieren ist.

Die äußere, leichte, transluzente Hülle wurde aus einem "luftigen Vorhang" aus hängenden, schmalen Holzlamellen (unbehandelte Douglasie) realisiert. Diese Hülle umschließt der den inneren Kern, den eigentlichen Gottesdienstraum, schützend wie mit einem leichten Schleier - ohne ihn komplett zu verbergen. Die beiden natürlichen Materialien Lehm und Holz bilden das Gegensatzpaar von Schwere und Leichtigkeit, das den Entwurf bestimmt und die Spannung seiner Raum-Definitionen ausmacht.

Die Kapelle der Versöhnung ist heute nicht nur Besuchermagnet der aus Mauergedenkstätte, Dokumentationszentrum und der Kapelle der Versöhnung bestehenden Gedenkstätte Berliner Mauer, sondern Beispiel von engagierten und zielorientierten Zusammenspiel von Architekten und Ingenieuren der verschiedenen Disziplinen.

Der Stampflehmbau ist heute als Teil der in die Musterliste der Technischen Baubestimmungen aufgenommen Lehmbau Regeln von meisten Bundesländern eingeführt und damit eine anerkannte Bauart der Gegenwart. Das Projekt Kapelle der Versöhnung hat daran einen nicht unwesentlichen Anteil.

Adresse
Bernauer Strasse 4
10115 Berlin-Mitte

Bundesland
Berlin

Bauherr
Evangelische Versöhnungsgemeinde, Berlin

Architekt
reitermann / sassenroth architekten
Dipl.-Ing. Rudolf Reitermann, Prof. Peter Sassenroth
Bartningallee 16
10557 Berlin
Mitarbeit: Dipl.-Ing. Cathrin Urbanek

Tragwerks­planer
Pichler Ingenieure, Berlin
Dipl.-Ing. Andreas Schulz

Ausführung
Lehm Ton Erde, Schlins, Österreich (Lehmbau)
Merkle Holzbau, Bissingen

Baujahr
1999 bis 2000

Ansprechpartner
p.sassenroth(at)gmx.de

Fotograf
Klaus-Reiner Klebe, München

Gebäudeart
Kirche

Bauweise
Freistehendes Solitär-Gebäude

Objekt­daten
3220 m3 Umbauter Raum, 315 m2 Nutzfläche

Konstruktion
Massiver tragender Stampflehm (Innenschale/Aussenwand und Gebäude-aussteifung), Leimholz/Holz (Dachkonstruktion), hängende Holzlamellen aus unbehandelter Douglasie (transluzente Aussenschale)

Technische Ausstattung
Nur elektrisches Licht

Energiekonzept
Energieverbrauch in geringsten Mengen, da weder Heizung noch Kühlung eingebaut sind. Die Primärenergie in den Baustoffen Lehm, Holz sind sehr gering.

Besonderheiten
Erster bauaufsichtlich zugelassener, tragender und aussteifender Stampflehmbau in Deutschland