Sticks and Stones, eine Intervention von David Chipperfield

Installation in der Neuen Nationalgalerie, Berlin

Mit 144 imposanten Baumstämmen verwandelt der britische Architekt David Chipperfield (geb. 1953) eine offene Glashalle der Neuen Nationalgalerie in Berlin für drei Monate in eine dicht gestellte Säulenhalle. Die Installation ist zugleich eine Auseinandersetzung mit der Architektur der Neuen Nationalgalerie und ein Prolog auf die denkmalgerechte Sanierung des Museums, die das Büro David Chipperfield Architects mit Beginn des Jahres 2015 durchführen wird.

Für den Titel seiner Intervention leiht sich David Chipperfield den eingängigen Anfang eines englischen Kinderreims: "Sticks and Stones [may break my bones, but words will never hurt me]". Er verweist damit auf zwei Grundelemente der Neuen Nationalgalerie, aber auch der Architektur allgemein: die Stütze oder Säule und den Stein. So leichtfüßig der Titel daher kommt, so hintergründig ist diese letzte Sonderausstellung vor der Schließung des Hauses für mehrere Jahre.

Mit Sticks and Stones lenkt Chipperfield den Blick auf die spektakuläre Konstruktion des Museumsbaus, der 1965-1968 nach Plänen von Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) errichtet wurde. Lediglich acht schlanke Stahlstützen tragen das monumentale Dach, das wie freischwebend wirkt, weil die Stützen weit von den Dachecken eingerückt sind. Die beiden mit Marmor verkleideten pfeilerartigen Installationsschächte im Inneren der Glashalle haben keine tragende Funktion.

Wie eine provisorische Stützkonstruktion nehmen die 144 entrindeten, gut acht Meter langen Fichtenstämme symbolisch das Gewicht des Daches auf. Sie fügen sich in das klare Raster ein, das Stahldecke, Granitfußboden und Gesamtproportionen der Neuen Nationalgalerie prägt. So lässt Chipperfields Installation innerhalb der modernen Stringenz des Mies-Baus ein neues Raumerlebnis entstehen. Sticks and Stones ist somit eine Verneigung vor dem großen Vorgänger Mies van der Rohe und zugleich eine Metapher für die kommende Baustelle.

Die 8,20 langen, 500 bis 1000 Kilo schweren Fichtenstämme mit wechselnden Durchmessern zwischen 30 und 49 cm sind an der Decke durch eine Kopfpunkthalterung sowie auf den Lastverteiler-Bodenplatten jeweils mit eigens gefertigten, in die Stämme eingelassenen Stahlbolzen in ihrer Position fixiert. Dabei wurden die von Mies van der Rohe zum Zwecke von Deckenbefestigungen vorgesehenen Löcher in der Kassettendecke verwendet. Dank der für die Baumstämme speziell entwickelten, flexiblen Befestigungstechnik können thermische Schwankungen des Daches ausgeglichen werden. Dieses ist leicht hochgewölbt gebaut, da das menschliche Auge bei einer so großen (65 x 65 Meter) freischwebenden Fläche immer ein leichtes Durchhängen sieht.

Im Zusammenspiel von Offenheit und Dichte, Innen und Außen, Natur und Technik entsteht ein Assoziationsfeld, das in die Geschichte und Gegenwart der Weltarchitektur reicht und die Kulturgeschichte der Säule umkreist - von den Säulenhallen antiker Tempel über die Moschee von Córdoba (8. -10. Jh.) und Frank Lloyd Wrights pilzförmige Betonstützen beim Johnson Wax Building (1936-1939) bis hin zu Chipperfields eigenen Bauprojekten im 21. Jahrhundert. David Chipperfield hat sich durch seine vielfach preisgekrönte Sanierung und Erweiterung des Neuen Museums (1997-2009) nicht nur in Berlin einen Namen gemacht.