Multihalle in Mannheim soll abgerissen werden

Widerstand gegen Abriss und Engagement für ein Sinnbild des innovativen Bauens mit Holz

Es ist ein Schock für alle Baufachleute: Der Gemeinderat von Mannheim hat den Abriss seiner Multihalle angekündigt. Es ist die größte Holzgitterschalenkonstruktion der Welt, ein Meilenstein des Holzbaus und eine Ikone der jüngeren Baugeschichte.

Ursprünglich war die Multihalle 1975 als temporäres Bauwerk für die ein halbes Jahr dauernde Bundesgartenschau gedacht, überdauert hat sie nun schon Jahrzehnte. 1998 wurde sie als "Meisterwerk der Ingenieurbaukunst" unter Denkmalschutz gestellt. Mannheim hat sich im Laufe der Jahre nur halbherzig um den Zustand ihres berühmten Erbes gekümmert. Mittlerweile ist das Dach undicht und die Holzkonstruktion an mehreren Stellen notdürftig stabilisiert. Unter Hinweis auf die knappen Kassen lehnt die Stadt ihre Verantwortung für den Erhalt ab und eröffnet dem Wahrzeichen eine letzte Chance von zweifelhafter Natur: Sollte es gelingen, die für eine Sanierung notwendigen Mittel bis Ende 2017 durch ein privat initiiertes Crowdfunding, Sponsoring und Zuschüsse der Denkmalpflege zusammenzubringen, könnte die Multihalle der Nachwelt erhalten bleiben. Ein Fachgutachten schätzt die Kosten für eine Standzeit von weiteren 50 Jahren auf zwölf Millionen Euro.

Ein Blick auf die legendäre Entstehung des Bauwerks verdeutlicht seine Einzigartigkeit. Die Architekten Carlfried Mutschler und Joachim Langner entwickelten eine organische Hallenform und entsannen sich einer zweifach gekrümmten Holzgitterschale, die der bekannte Architekt Frei Otto 1962 als Versuchspavillon errichtet hatte. Nun sollten aber 10.000 Quadratmeter mit einer maximalen Spannweite von 60 Metern überwölbt werden - und das in einer Bauweise, deren statische Berechnung wissenschaftlich noch nicht erforscht war.

Die Schale wurde flach auf dem Boden zusammengeschraubt, und an 34.000 Knoten fixiert. Das biegeweiche Gitter aus Latten der Hemlocktanne wurde auf einem Gerüstsystem ausgebreitet, hydraulisch millimetergenau in die richtige Form hochgedrückt, in den Knotenpunkten fest verschraubt und mit einem Polyestergittergewebe abgedeckt. Den enormen wissenschaftlichen und experimentellen Aufwand, der während der Planung der Multihalle geleistet wurde, belohnte am Ende das architektonische Ergebnis: ein einzigartiges Gebilde, das den Besuchern ein atemberaubendes Raumerlebnis bescherte. Es beeindruckt auch im 21. Jahrhundert in ihrer konstruktiven Kühnheit und räumlichen Poesie.

Frei Otto starb im vergangenen Jahr. Ihm wurde posthum der Pritzker-Preis für sein Lebenswerk verliehen, die weltweit renommierteste Auszeichnung für Architekten. Seine Arbeiten im Leichtbau mit Seilnetzen, Gitterschalen und anderen zugbeanspruchten Konstruktionen machten ihn zu einem der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Um solche Gebäude, entworfen von einem Pritzker-Preisträger, werden viele Städte beneidet. Bürgermeister reißen sich darum, so etwas auch in ihrer Stadt errichten zu können. Nicht so in Mannheim. Nach Auffassung des Gemeinderats ist die Erhaltung der Halle "aus architekturhistorischen Gründen" nicht Aufgabe der Stadt.

Gegen den geplanten Abriss regt sich erheblicher Widerstand, schon ist die erste Spende in Höhe von 10.000 Euro eingegangen. Das Geld kommt von der Architektenkammer Baden-Württemberg, die die Bedeutung der Halle für Mannheim mit dem des Eiffelturms für Paris verglich. Und wo ist die Holzwirtschaft? Sollte es nicht auch ihr ureigenes Interesse sein, ein wichtiges, weltweit geschätztes Bauwerk so lange wie möglich zu erhalten, damit es von der gestalterischen Kraft und Langlebigkeit des Baustoffs Holz kündet?

Im Vergleich zu den benötigten Mitteln erscheint die erste Spende gering. Sie macht aber Mut, dass eine Rettung der Multihalle durch bürgerschaftliches Engagement möglich sein könnte. Es wäre sicher ein wichtiges Signal an die betroffenen Fachkreise und die breite Öffentlichkeit, wenn auch die Holzwirtschaft Interesse an ihrer eigenen Bauhistorie bekundet und Engagement demonstriert. Die Multihalle in Mannheim kündet nicht nur von der Innovationskraft des Baustoffes und des Handwerks, sondern auch vom Entdeckergeist und der Risikobereitschaft der Architekten und Ingenieure, die entscheidenden Anteil an der Weiterentwicklung des Holzbaus haben. Diese wirkungsvolle Symbiose sollte die Holzwirtschaft nicht aus dem Blick verlieren.

(Fotos: INFORMATIONSDIENST HOLZ)