Tibetan Houses

Buchempfehlung der Redaktion des INFORMATIONSDIENST HOLZ

Wie in vielen Regionen der Welt droht auch im Himalaya eine sehr eigenständige, traditionelle Wohnkultur zu vergehen. Unser Blick wurde lange Zeit auf faszinierende tibetische Klöster und Tempel gelenkt, aber nicht auf die volkstümliche Baukultur der Landbevölkerung. Diese Lücke schließt das beeindruckende Werk "Tibetische Häuser. Volkstümliche Architektur im Himalaya und Umgebung", herausgegeben von Prof. em. Peter Herrle und Anna Wozniak von der TU Berlin, indem es die in karger Landschaft gewachsene Architektur dokumentiert und dem Leser eine hoch entwickelte Baukunst zugänglich macht.

Außerordentliche Zeichnungen und Fotos zeigen die Vielfalt und Schönheit einer Bauweise, in der viel - wie wir es heute formulieren - über Jahrhunderte entstandenes ökologisches, nachhaltiges Wissen zum Ausdruck kommt. Gebaut wird mit dem Material, das in der jeweiligen Region vorhanden ist. Wer nur die von Bergen und Steinen geprägte Landschaft sieht, wird überrascht sein, welche wichtige Rolle der Baustoff Holz als leicht bearbeitbares Material spielt - so finden sich hier Blockhäuser, die denen der Schweiz ähnlich sind. Im nächsten Tal ist es dann Lehm und in wieder einem anderen Tal Stein.

Besonders hervorzuheben ist die Methodik des Teams der "Habitat Unit", einer Forschungs- und Lehrplattform der TU Berlin. Von den hier dargestellten 19 Gebäuden wurden vor Ort maßstäbliche Zeichnungen mit Tusche und Bleistift von Hand angefertigt. Diese wunderbare Technik verschwindet immer mehr in digitalen Zeiten - ebenso wie die tibetischen Bauernhäuser. Die Zeichnungen machen das Buch so besonders, sie zeigen das Wesen der Häuser ohne zu abstrahieren oder idealisieren. Jede einzelne Dachschindel ist erkennbar, die Verzierungen der Holzfenster sind akribisch wiedergegeben wie auch die Unebenheiten in den Lehmfassaden. Im zweiten Buchteil werden vergleichend Gebäudeteile wie etwa die Mauer, das Dach, Tür, Fenster und Fassade analysiert.

Bei der Betrachtung dieses Bandes fällt dem Leser Bernard Rudowsky's Büchlein "Architektur ohne Architekten" ein. Er hat uns von der begrenzten Vorstellung befreit, die Architekturgeschichte als eine Abfolge von baulichen Macht- und Reichtumsgesten zu betrachten. Dass noch heute von dieser Veröffentlichung aus dem Jahr 1963 geschwärmt wird, geht in Ordnung, zeigt aber auch, wie wenig neues Wissen über das Bauschaffen existiert, bevor es zur Kunst des Fachmannes wurde. Da leistet dieses Buch wertvolle Basisarbeit.

Das verheerende Erdbeben in Nepal von 2015 hat bereits einige der untersuchten Häuser unwiederbringlich zerstört. Das allein zeugt schon von der Bedeutung dieses Projekts für die Nachwelt, hier wie dort.

Tibetan Houses. Vernacular Architecture of the Himalayas and Environs.
312 Seiten, 250 farbige Abb., gebunden, englisch.
Birkhäuser Verlag Berlin, 2017
79,95 Euro
ISBN: 978-3035610314